Allgemein

Der freie Mensch

Vision eines freien Menschenbildes

– von Christine Richter –

Es ist möglich Visionen zu erschaffen. Und, das gibt uns wirklich große Hoffnung, sie haben die Tendenz sich zu verwirklichen. So sollte eine Vision das Schönste und bestmöglich Denkbare in sich tragen. Ein Bild, das nicht nur das eigene Herz, sondern auch das eines jeden Betrachters berührt, und zu Taten befeuert. Ein Feuer der Begeisterung entsteht immer dann, wenn die geschaffene Vision nicht nur ein paradisisches Wunschgebilde oder eine mit hoher Wahrscheinlichkeit bald eintretende Weltuntergangsszene darstellt, sondern, wenn die geschaffene Vision eine tatsächlich vorhandene Möglichkeit des Menschseins berührt, die entwickelt werden kann, und die so unwiderstehlich anziehend und schön ist, dass sie die nötige Kraft zu ihrer Verwirklichung gleich mit sich bringt.

Angst erweckende Vorstellungsbilder der Zukunft wie die in diesem Video dargestellte Vision des Bill Gates (8:36 Min.) hingegen führen eher zu einer Lähmung des Willens, als dass sie den Einzelnen zu konstruktiven Handlungen motivieren. Wie kann eine Strategie auf Basis lauter Schutzmaßnahmen vor möglicherweise hereinbrechenden Gefahren konstruktiv sein? Der so denkende Mensch zieht das gefürchtete Übel mit seinen Vorstellungen geradezu an. Die von Bill Gates und anderen Personen kreierten Bilder scheinen sich gegenwärtig auf erschreckende Weise weltweit zu manifestieren. Das obige Video wurde im April 2015 aufgenommen und auf YouTube veröffentlicht.

Eine gänzlich andere, bereits vorhandene Vision des werdenden Menschen in seinem Ideal finden wir bei Erich Fromm in seinem inzwischen legendären Werk „Haben oder Sein“ (2). Bereits der Titel regt den Leser zum Denken an. Was genau ist damit gemeint? Hier ein Zitat aus dem Buch:

„Die Angst und Unsicherheit, die durch die Gefahr entsteht, zu verlieren, was man hat, gibt es in der Existenzweise des Seins nicht. Wenn ich bin, der ich bin und nicht, was ich habe, kann mich niemand berauben oder meine Sicherheit und mein Identitätsgefühl bedrohen. Mein Zentrum ist in mir selbst – die Fähigkeit, zu sein und meine mir eigenen Kräfte auszudrücken, ist Teil meiner Charakterstruktur und hängt von mir ab. Dies gilt für die normalen Lebensumstände und natürlich nicht für extreme Situationen wie Krankheiten mit unerträglichen Schmerzen, Folter oder andere Fälle, in denen die meisten Menschen ihrer Fähigkeit zu sein beraubt sind. – Während beim Haben das, was man hat, sich durch Gebrauch verringert, nimmt das Sein durch die Praxis zu. …“ (S.109)

Wie kann etwas zunehmen, dass materiell nicht verifizierbar ist? Wir sind heute im Allgemeinen so sehr materiell denkend orientiert, dass wir uns nur schwer vorstellen können, mit leeren Händen dazustehen und trotzdem eine bedeutungsvolle Position im Leben einzunehmen – und – sogar wie ein Geschenk noch hinzukommend, dabei vor lauter Freude, Glück, Fülle und innerem Reichtum überzufließen…

Meine Vision des „freien Menschen“ in der Zukunft gründet sich auf der grundsätzlichen Annahme, dass wir mehr sind als nur Körper. Auch stellt der „Tod“ darin etwas Natürliches dar, vor dem man sich nicht zu fürchten braucht. Die technischen Errungenschaften haben natürlich auch Bedeutung und Wert, doch das was wirklich bedeutungsvoll ist, was zu Weiterentwicklung führt und Hoffnung spendet, liegt im Menschen selbst.

Eine wahre Geschichte vermag das Gesagte verdeutlichen: Trudi war ein Pony in hohem Alter, sie fraß kaum noch und wurde immer dünner. Wir holten den Tierarzt und der stellte fest, dass ihre Zähne beschliffen werden müssten, sie könne deshalb nicht mehr fressen, sagte er. Und so war es auch. Nach der Behandlung frass sie wieder und wir bereiteten ihr einen speziellen Brei mit Vitaminen und Mineralien aus der Tüte, damit sie schnell wieder an Kraft und Gewicht gewinnen konnte. Eine Spritze bekam sie auch noch, diese bewirkte ein Wunder, da sie binnen kurzer Zeit wieder fast wie ein Füllen auf der Wiese herumsprang. Als es mit Trudi wieder bergab ging, wiederholte er die Spritze ein zweites Mal. Wieder blühte das Tier sichtbar auf. Doch dann kam der Einbruch, sie lag morgens im Stall und stand nicht mehr auf. Nachdem sie den ganzen Tag nicht mehr auf die Beine gekommen war sagte der Tierarzt: „Nun können wir ihr nicht mehr helfen, ich muss sie einschläfern.“

Das Bestürzende damals war der Eindruck, dass das Pony durch die Aufpuschmittel derart vitalisiert war, dass ihr das Sterben schwer viel. Ich saß bei ihrem totgespritzen Körper im Stall, spürte die Unruhe im Raum und sah in ihren Augen den immer noch subtil vorhandenen, wie nicht erlöschen wollenden Lebensfunken. In mir kam die Ahnung auf, dass ihr die Behandlung – außer dem Zähnefeilen natürlich, das war sinnvoll gewesen – nicht unbedingt geholfen hatte. Im Gegenteil sogar, die künstliche Vitalisierung mit Aufbauspritzen hatten ihr Sterben, als seelischen Übergang in eine jenseitige Welt, offensichtlich ungünstig beeinflusst.

Der Tod gehört zum Leben wie der Schatten zum Licht. Wenn das Leben mehr ist als nur physisch, wird es möglich die Realität des Sterbens zu akzeptieren. Das „ewige Leben“ in einer physisch-seelisch-geistigen Realität sieht anders aus, als wenn man darauf hoffen würde niemals sterben zu müssen. Sterben gehört zum Leben, es beginnt schon mit der Geburt. Der Embryo „stirbt“, wenn er durch den Geburtskanal das Licht der Welt erblickt und das Neugeborene zu atmen beginnt. Der Same stirbt, wenn der Keim aus ihm hervorbricht und zu wachsen beginnt. Tod und Vergänglichkeit als Realität zu akzeptieren ist sicher nicht leicht aber außerordendlich befreiend. Die Blume in ihrer schönsten Pracht kann Ängste hervorrufen im Wissen des unvermeidlichen Welkens, welches folgen wird. Wer wirklich leben will, kommt nicht daran vorbei auch Krankheit, Tod und Leiden in das Weltbild mit einzubeziehen.

Meine „Vision der Zukunft“ gründet sich auf der Annahme, dass in unser menschliches Bewusstsein – in das der einfachen Bürger wie auch in das der Wissenschaftler – die Vorstellung einer geistig-seelisch-physischen Realität Einzug gefunden hat. Eine sogenannte „holistische Sicht“ ist für jeden Bürger dieser Welt logisch und normal geworden.

Was wäre dann anders? Wie könnte das Bild, welches jeder von Sich und anderen Lebewesen hat aussehen?

Rudolf Steiner (3) hat in der von ihm gegründeten Anthroposophie ein ganzheitliches Bild des Menschen beschrieben. Dieses beinhaltet nicht nur drei (Körper, Seele und Geist), sondern sogar vier Glieder: Physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich. Das von ihm erstmalig beschriebene viergliedrige Bild des Menschen ist trotz der Fremdheit der gewählten Begriffe (Ätherleib, Astralleib und Ich) der einfachen Logik ohne weitere Vorbildung zugänglich:

Das Logo dieser Webseite zum Beispiel soll andeuten, wie das „viergliedrige Menschenbild“ gedacht werden kann. Der Stein steht für die ihrer Natur nach tote Materie, für den physischen Körper von Mensch, Tier und Pflanze, als Symbol gewisssernaßen für alles Sichtbare oder die mess- und wiegbare Materie. Die Pflanze hat hinzukommend etwas, das dem Stein fehlt: sie lebt! So repräsentiert sie im Logo die lebendig gewordene Materie, wie sie auch Tier und Mensch eigen ist. Rudolf Steiner benennt das, was zur reinen Materie hinzukommt als Lebens- oder Ätherkräfte, ohne die kein „Leben“ im Sinne von Wachstum und Entwicklung stattfinden könnte. Ein Stein hat dies nicht, er kann keine Früchte hervorbringen. Die „Ätherkräfte“ stehen über das Element Wasser mit der Materie in Verbindung und verlebendigen diese. Beim Tier kommt noch etwas Weiteres hinzu das mit „Seele“ oder „Bewusstsein“ benannt werden kann. R. Steiner verwendet den Begriff Astralleib, da dieser „feinstoffliche Leib“ mit kosmischen Kräften in Verbindung steht. Wir finden den Zusammenhang des Bewusstseins mit kosmischen Kräften auch in der alten indischen Lehre der Chakren wieder, die vielen Menschen aus der Yogapraxis bekannt sind. Mensch wie auch Tier denkt, fühlt und will etwas.

Ob das Bewusstsein des Menschen und das der Tiere einen relevanten Unterschied aufweist, wird heute zunehmend in Frage gestellt. In der Anthroposophie beantwortet Rudolf Steiner diese brisante Frage mit dem vierten Glied, dem menschlichen „Ich„, welches ihm zufolge den Menschen vom Tier grundlegend unterscheidet.

Was bringt dieses „Ich“, welches in der Yogalehre mit „Selbst“ bezeichnet wird oder alternativ auch mit „Geist“ benannt werden könnte? Im Vergleich mit der üblichen dreigegliederten Unterscheidung von Körper, Seele und Geist würde das „Ich“ die geistige Dimension im Menschsein bezeichnen. Die mit dem menschlichen „Ich“ verbundenen geistigen Kräfte scheinen großartige Möglichkeiten zu eröffnen. So ist der Mensch mit seinem Geist kulturschaffend tätig. Er bringt Neues hervor und kann tatsächlich Welten erschaffen. Bill Gates Vision scheint sich derzeit zu verwirklichen. Sie baut auf eine Wissenschaft, in der weder „Leben“ noch „Tod“ real sind, sondern nur die Materie zählt. Eine Welt voller Angst vor möglicherweise hereinbrechenden Katastrophen und Epidemien, basierend auf der Vorstellung sich auf technische Art, mit Schutzanzügen, Lungenmaschinen und Impfstoffen schützen zu müssen. Welch Alptraum!

Es gibt sicher auch andere Möglichkeiten, wie sich die Welt mit Mensch, Tier und Pflanze in die Zukunft hinein weiter entwickeln könnte, ohne Schutzanzüge und Masken. Ein Bild von veredelten Menschen, die ihr Bewusstsein entfaltet haben und nun unter Verwendung ihrer geistigen Fähigkeiten eine esthetische und moralische Welt erschaffen. Diese neue Welt würde sich aus den Kräften jedes einzelnen Individuums erbauen und bräuchte der Kontrolle nicht mehr, da die Moral als natürliche Herzenskraft im Menschen selbst verankert ist.

Gedankt sei dann Bill Gates und Menschen wie er, die durch ihren Alptraum dazu beigetragen haben, dass das „Ich“ in uns Menschen erwacht und auferstanden ist. Denn das scheint die Wahl zu sein, die wir weltweit gerade haben: Auf(er)stehen oder passiv dem Untergang zusehen. Das Glück ist, das es das „Ich“ des Menschen gibt und dass dieses Unrecht und Lüge nicht ertragen kann.

© Christine Richter

„Die große Schwelle“, Aquarell von Anna Mansi

Fußnoten:

(1)       Bill Gates, Gründer von Microsoft, Multimillionär, Gründer der „Bill and Melinda Gates Fondation“

(2)      Erich Fromm, Haben oder Sein, dtv Sachbuch, 1976

(3) Rudolf Steiner (1861 – 1925), Begründer der Anthroposophie, einer Wissenschaft, welche auch die seelisch-geistige Welt in die Forschung mit einbezieht, diese als ursächlich für alles Sicht- und Wägbare betrachtet.

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